Kreta Radio, altes Radio

Kreta-Radio

*Musik aus Kreta und der ganzen Welt via Internet*

Es hat so etwas wirklich gegeben, noch in den späten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren: nämlich dass eine ganze Familie im Halbkreis vor dem Radio saß, sich vom zwinkernden magischen grünen Auge hypnotisieren ließ, während der Stoffbezug über den Lautsprechern zuckte und bebte, als schlüge ein Herz darunter. Ich habe sie schließlich selbst erlebt: die Besuche von Jonas, dem letzten Detektiv oder Dickie Dick Dickens im Wohnzimmer meiner Eltern. Da stand der grandiose HiFi Zauberklangkasten mit dem magischen Auge, unser Radio. Der Radio, nicht das Radio. Ein Sprachaltertum aus den Anfangstagen jenes Mediums, als alle noch Radioapparat sagten und nicht nur Radio.
Mein aktueller Radioapparat sieht aus wie eine erheblich geschrumpfte, allerdings augenlose und ziemlich nüchterne Version des Monstrums von damals. Aber er lebt! Die Lautsprecherbespannung, aus Kunststoff zwar, vibriert jedenfalls, das ist deutlich zu fühlen.
Und es ist in den vergangenen Wochen tatsächlich vorgekommen, dass meine komplette, Kleinfamilie und auch anwesende Freunde im zumindest angedeuteten Halbkreis vor dem Gerät gehockt hat, ganz Ohr, staunend und den Fernseher nicht eine Sekunde vermissend.
Vor gut einem halben Jahr hat bei uns nämlich die Ära des Internetradios begonnen.
Nein, ich rede nicht vom Radiohören auf dem Laptop oder am PC. Irrtum. Ich besitze jetzt wirklich ein Radio, das ich nur einzuschalten brauche, und schon bin ich, nicht nur theoretisch, in der Lage, den Programmdirektoren und Moderatoren von rund 10 000 Radiostationen weltweit die Einschaltquote höchstpersönlich zu erhöhen.

Dank WLAN klinkt sich das Radio in mein simples heimisches Netzwerk ein. Einen DSL-Anschluss hatte ich schon – und eine unbeschränkte Flatrate fürs Online-Surfen sowieso. In Australien geht gerade dieser Tag, der hier noch nach Bohnenkaffee und frischen Brötchen duftet, zu Ende – mit einer Staumeldung für die Mitmenschen in ihren Blechkisten im Zentrum von Canberra, die nach getaner Arbeit in Richtung Feierabend streben, aber jetzt erst einmal ausharren müssen, während die Moderatorin gnadenlos ihre Schnattersalven abfeuert. Wenn nicht gerade, in ihren Sprechpausen, die Popmusikanten an der Reihe sind.
Da lob ich mir doch meine Lieblingsmusiksender, deren je nach Stimmung auszuwählende zärtliche oder aufmöbelnde Töne nun immer wieder von meinen vier Wänden widerhallen:
Radio Kriti aus Kreta sendet Exempel der großartigen kretischen Musikkultur, die vermutlich sogar Alexis Sorbas zu einem Stammhörer gemacht hätten.
Einen utopisch anmutenden Klick, einen Zeitreise-Knopfdruck entfernt auf meiner Favoritenliste die gleichzeitigen Klänge von den Ufern des gegenüberliegenden Kontinents, Afrika – Sansibar den Gestaden des auch hier alles trennenden und doch verbindenden Lybischen Meeres, Radio Algier ein Sender, der in seinen Programmen historische und aktuelle Klänge der arabisch-südeuropäischen Welt ausstrahlt.

Einen weiteren Klick entfernt finde ich die beiden Beatles-Sender, auf die mich mein Internetradio gestoßen hat: Beatles-A-Rama und Beatles Radio, das sogar mit stündlichen Beatles-Nachrichten aufwartet und rund um die Uhr die Musik der vier Liverpooler hinausposaunt!
Ob nun Naher Osten, Amerika oder Afrika jeder Kontinent und jedes Land sind nun mit meinem Internetradio einzufangen.
„Der Markt für Kampfflugzeuge ist klein und sehr umkämpft“ erfahre ich gerade aus dem Munde der österreichischen Sprecherin auf Ö1 Inforadio, da bin ich auch schon einen Klick weiter und stecke mit beiden Ohren im Wahlkampf auf der Karibikinsel Anguilla. Er, der Kandidat, sei selbst hier aufgewachsen und habe sein ganzes Leben darauf gehofft, dass endlich ein Politiker für einen anständigen Basketballplatz sorgt.
Che Guevara gründete 1958 den Rebellensender Radio Rebelde, den man auch heute noch empfangen kann, als staatlichen Sender, versteht sich, der aus dem Haus des Rundfunks in Havanna auf die Antenne geht und ins Internet. Wer Glück hat, gerät in eine der anrührenden Musiksendungen, die allem Ohrenschein nach mit uralten, verknacksten und manchmal leiernden Schellacks bestückt werden und so einen Hauch echter Melancholie hinaus seufzen in die weite Welt.

Kretischer Wein schmeckt nur in Griechenland, behaupten Menschen, die kretischen Wein schon in Flisvos getrunken haben. Doch neulich hatte ich die in solchem Statement innewohnende Warnung in den Wind geschlagen und mir eine Flasche tiefroten Weins aus dem Biomarkt geholt, gewachsen, gekeltert, gereift und abgefüllt am Fuße der weißen Berge. Mich schon vor dem Entkorken in Stimmung gebracht mit Radio Kritikos, das aus Chania auf Kreta sendet und ohne Unterlass traditionelle Gesänge nebst Instrumentalmusik sendet, deren Schwingungen im Raum – ich schwöre es! – eine geradezu magische Wirkung auf das dekantierte Getränk hatte.

Und wo wir gerade beim Raten sind. Ob Sie wohl erraten würden, wie viele deutschsprachige Internetradio-Livestreams mein kleiner Kasten mir auf seinem Display anbietet? Ich selbst kann es kaum glauben: Neunhundertneunundsiebzig Radiomacher haben es auf meine Ohren abgesehen! Zwischen Oberammergau und Flensburg, zwischen Wien und Vaduz. Die Zeit des Radios, sagte neulich mal jemand, der vom vielen Fernsehen ganz eckige Augen hatte, die Zeit des Radios ist doch längst passé. Dazu gab es natürlich nur einen Kommentar:
Na, das stimmt aber nun nicht.

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